Der Kuss – kurz, aber fest – ließ sie die Augen schließen. Sie schmeckte nichts außer der Ruhe, die er ihr gab. Es war, als würde er all ihre Worte, all ihre Ängste einfach mit diesem einen Siegel einschließen und sie davor bewahren, jemals wieder herauszufallen. Als er sich löste und dieses schelmische Schmunzeln zeigte, entfuhr ihr ein kleines, atemloses Lachen. Sie konnte nicht anders. Es war so sehr er, dass es in ihr gleichzeitig eine Zärtlichkeit und einen Drang auslöste, ihn noch enger an sich zu ziehen. „Drake…“ flüsterte sie, aber der Rest ging im Kloß in ihrem Hals unter. Sie konnte ihm nicht in Worte fassen, wie viel es ihr bedeutete. Dass er nicht nur akzeptierte, was sie gesagt hatte – sondern es sogar mit einer Leichtigkeit trug, die sie nie für möglich gehalten hätte. Als er ihre Hand nahm und sie hochzog, folgte sie ihm ohne Widerstand. Ihre Finger blieben fest in seinen verschränkt, als hätten sie Angst, die Verbindung könnte sich lösen, wenn sie nur für einen Moment losließ. Doch es war nicht mehr diese alte, nagende Angst, die sie so lange begleitet hatte – es war etwas anderes. Ein Bedürfnis, ihn spüren zu müssen, einfach weil er ihr gerade mehr Halt gab, als sie selbst je von sich erwartet hätte.
Sie lächelte, als er die Tür verschloss. Diese kleine, alltägliche Geste wirkte plötzlich wie ein Übergang: das Zurücklassen all dessen, was sie bisher festgehalten hatte, und das Eintreten in etwas Neues. Auf der Promenade, unter den letzten Strahlen der Abendsonne, schlich sich eine leise Nervosität in ihre Brust. Sie wusste, was gleich kommen würde. Und so sehr sie ihn bei sich haben wollte, so sehr fürchtete sie auch diesen ersten Moment, in dem er mit eigenen Augen sehen würde, was sie so lange verborgen gehalten hatte. „Weißt du…“, begann sie nach einer Weile, ihre Stimme war leise, aber klar, „ich hab’s mir so oft ausgemalt. Wie es wäre, wenn ich es jemandem zeige. Ob er mich dann noch ansehen könnte wie vorher. Ob er… ob er das Schimmern sehen würde – oder nur das Fremde.“ Sie lachte leise, ein unsicheres, beinahe kindliches Lachen, das sofort wieder verklang. „Und jetzt geh ich hier neben dir, und ich hab keine Ahnung, ob ich gleich losrenne oder einfach nur ins Wasser springe.“ Sie drückte seine Hand fester, warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und fand dabei sein Gesicht im sanften Abendlicht. Ein Bild, das sie sich merken wollte. Für den Fall, dass gleich irgendetwas anders wäre. Doch in diesem Blick lag so viel Sicherheit, dass sie ihre Lippen aufeinander presste und versuchte, sich daran festzuhalten. Am Strand blieb sie stehen, zog die Schuhe aus, sodass ihre Zehen im feinen Sand versanken. Sie atmete tief ein – Salz, Meer, Wind – und für einen Moment war sie wieder fünf Jahre alt, halb verschluckt von Wellen, halb gerettet durch einen Kuss, den niemand je gesehen hatte. Ihre Kehle schnürte sich zu, aber sie zwang sich, den Kopf zu heben. „Du wirst gleich Dinge sehen, die nicht… normal sind“, sagte sie schließlich, und ihre Stimme zitterte kaum merklich. „Und du musst mir glauben, wenn ich dir sage: Ich hab damit genauso gehadert wie du es vielleicht tun wirst. Aber ich vertraue dir. Mehr als irgendwem sonst.“ Sie ließ seine Hand langsam los, trat näher ans Wasser. Das kalte Rauschen umspielte ihre Knöchel, und sie schloss für einen Moment die Augen. Dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um, die Haare vom Wind ins Gesicht geweht, die Sonne halb hinter ihr versunken. „Also… bist du bereit?“ fragte sie, und trotz aller Nervosität lag in ihrem Blick nun ein Funkeln – zart, verletzlich, aber auch voller Hoffnung. Ein Funkeln, das nur ihm gehörte.