Sie ließ die Hände in den Schoß sinken, das Brötchen, das sie ihm zugeschoben hatte, vergessen, weil es nie um das Brötchen gegangen war. Ihre Schultern sanken ein wenig ab, und für einen Moment war sie einfach nur still. Nicht angespannt, nicht gefasst. Nur still. Langsam hob sie den Blick, und ihre Augen trafen seine – wie zwei Strömungen, die sich irgendwo in der Tiefe begegneten. „Ich weiß, das war viel“, sagte sie schließlich, leise, fast scheu. Ihre Stimme war rauer als sonst, ein bisschen wie Treibholz – vom Wasser geschliffen, aber immer noch fest. „Ich hab das niemandem erzählt. Nie ganz. Nicht so. Nicht alles.“ Sie verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln – nicht fröhlich, eher so, wie man lächelt, wenn man sich wundert, dass man überhaupt noch lächeln kann. „Und du sitzt da… als hättest du mir gerade erzählt, dass es heute Abend regnen soll.“
Ein kurzer Blick zu seinem Gesicht, ein Hauch von Unfassbarkeit in ihrem Ausdruck. Dann schüttelte sie langsam den Kopf, als müsse sie sich selbst wieder zusammensetzen. „Ich hab so oft überlegt, wie ich dir das irgendwann sage. Ob ich’s überhaupt tue. Und dann… war da dieser Moment. Und ich dachte: Wenn nicht jetzt, dann vielleicht nie.“ Sie senkte den Blick auf ihre Hände, die sich nun umeinander legten, Daumen über Daumen, ein ständiges, leises Kreisen – wie die Wellen draußen, immer in Bewegung, aber nie ohne Richtung. „Ich bin nicht… verrückt. Auch wenn’s sich manchmal so anfühlt. Und es ist auch keine Metapher. Kein Trauma, das ich mir schönrede. Ich bin einfach… anders.“ Ein Atemzug. Ein zweiter. Ihre Brust hob und senkte sich langsam, als würde sie jeden einzelnen Gedanken durch sich hindurchlassen, bevor sie ihn aussprach. „Ich habe lange versucht, es wegzuschieben. So zu leben, als gäbe es das alles nicht. Die Geister. Das Wasser. Die andere Hälfte von mir. Aber es ist immer da. Es ist wie ein zweites Herz – du kannst es nicht sehen, aber es schlägt. Und wenn du es ignorierst, tust du dir irgendwann weh.“ Wieder hob sie den Blick, und diesmal lag darin eine Art stummer Mut. Kein Trotz, kein Stolz. Nur die klare Entscheidung, nicht mehr davonzulaufen. „Ich versteh, wenn du Abstand brauchst. Wenn du Zeit brauchst. Oder Fragen. Ich hab nie erwartet, dass jemand das einfach… hinnimmt. Aber du hast es getan.“ Ihre Stimme wurde weicher, fast tonlos. „Danke.“ Sie ließ die Stille wieder einkehren, aber diesmal war es keine Angst mehr, die sie zurückhielt. Es war Raum. Vertrauen. Sie rückte ebenfalls ein kleines Stück näher, sodass ihre Knie sich fast berührten – eine Bewegung so vorsichtig wie Wellen, die ans Ufer schleichen. Und dann streckte sie ihre Hand nach seiner aus. Nicht fordernd. Nicht als Test. Nur offen. Bereit. „Ich will nicht mehr alleine sein mit all dem“, sagte sie leise. „Und wenn du wirklich… bleiben willst, dann will ich dir alles zeigen. Alles, was ich bin. Auch das, was glitzert. Auch das, was Angst macht.“ Ihr Blick war klar jetzt, fast leuchtend. „Aber du musst wissen, worauf du dich einlässt. Ich bin kein Rätsel, das sich lösen lässt. Ich bin ein Ozean. Und Ozeane… tragen. Oder verschlingen.“ Ein leises Lächeln zuckte über ihre Lippen. „Aber ich glaube, du kannst schwimmen.“